16 Kilometer durch Istanbul

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Keine Eile. Gegen Mittag machen wir uns wieder auf den Weg durch Yenikapi, diesmal nach Norden

bis zu einer modernen Fußgängerzone. Warenhäuser mit Schaufenstern bis oben, keine bekannte Kette. Die Läden tragen schöne Namen wie „Paparazzi fashion“ oder „Divas Planet“. Die Prinzessinnenkleidchen im Stil des 19.Jhd machen uns etwas ratlos….

Auffällig sind die vielen „Big Size“Geschäfte, uns gefallen „Societá Ohne Sport“ oder OCCO BIG.

Die Sackkarrenschieber warten auf Einsatz, Schuhputzer auf Kundschaft. Ein Geschäft bietet Schaufensterpuppen der besonderen Art.

 

Wir möchten zum Grand Bazaar, einer der ältesten und größten Markthallen der Welt. Kreuz und quer durch kleine Gassen mit schönen Holzhäusern und steinernen Torbögen

verlieren wir irgendwo die Richtung und stehen plötzlich und unverhofft vor der Süleymaniye Moschee.

Durch ein Tor geht es hinein in den Garten. Rechts ein alter Friedhof und das Mausoleum von Sultan Süleyman dem Prächtigen, der die Moschee in nur 7 Jahren erbauen ließ.

Vom Garten aus bietet sich eine fantastische Aussicht auf den Bosporus. Im Dunstnebel schwebt die Bosporusbrücke, wir werfen einen ersten Blick auf Asien.

Die Moschee ist eine der größten der Stadt.

Und weil wir schon mal da sind, gehen wir auch mal rein. Am Eingang liegen Kopftücher bereit, aber auch hier reicht die Baseballkappe. In einer Ecke stehen bewundernswert große Staubsauger.

Auf Socken betreten wir den dickflauschigen Teppich, der jedes Geräusch verschluckt. Die Kuppel ist gigantisch…..

 

Kühl und still ist es hier. Stille hat in Istanbul Seltenheitswert.

Über den Innenhof verlassen wir das Moscheegelände, in einem Häuschen in der Mitte des Hofes plätschert Wasser.

 

Jetzt aber zum Grand Bazaar. Da vorne muß er sein….

Über einen engen Hinterhof voll kleiner Lädchen finden wir den winzigsten der vielzähligen Eingänge. Zuerst wirkt es, als betreten wir eine dunkle Höhle. Durch eine Sicherheitsschleuse mit Wachmann kommen wir in die Markthalle. Hell und luftig. Die im 15.Jhd erbauten Hallen und die darumliegenden Gassen umfassen mehr als 30.000qm mit 61 Strassen. Alles zusammen, überdacht und im Freien, bildet den Grand Bazaar mit über 4000 Geschäften. Der erste Eindruck ist imponierend und wunderschön!

Kreuzförmig angelegte breite Strassen und schmale Seitengassen, die sich unter hohen Kuppeln treffen. Kaum drin, ist die Orientierung schnell verloren. Hier ist was los! Gewusel und Gewimmel, Geschäfte aller Art. Seidige Teppiche, bunt leuchtende Glaslampen, Kleidung, Töpferware, Schals und edle Stoffe. Tonnenweise Gold als Barren oder Schmuck, glitzernde Juwelen und unzählige Brillianten funkeln in den Spektralfarben.

Einfach alles, außer Lebensmitteln und Tourikram. In den Innenhöfen versteckt befinden sich Restaurants und Teestuben. Überall Trinkwasserbrunnen, kleine Fontänen. Man wird kaum angesprochen. Außer man bleibt stehen, um die Auslagen zu betrachten, dann sofort: „Come in! Have some Tea! See my wonderful carpets!“ Das gestaltet den Rundgang hektischer als wir möchten. Die Hallen sind sehr gepflegt und wirken frisch renoviert – bis auf die waghalsige Elektroinstallation.

Völlig überwältigt streben wir, nach einigem hin- und her durch die Gänge, dem nächsten Ausgang zu.

 

Auf einer Treppe erholen wir uns kurz, dann stürzen wir uns nochmal hinein ins Getümmel, denn das ist die Abkürzung  zum Gewürzmarkt.

Draußen in den Gassen ist es genauso voll und wuselig wie in den Hallen. Viele Leute ziehen einen Rollkoffer hinter sich her. Unglaublich, wieviele Waren hier an den Käufer gebracht werden sollen! Millionen von Handtaschen, Gürteln und Koffern.

Und über allem tönt der vielstimmige Gebetsgesang aller Muezzine der Stadt.

Der Gewürzmarkt ist sehr sauber, ebenfalls wie frisch renoviert und viel ruhiger als der Grand Bazaar. Auch hier gehen wir zuerst durch eine Sicherheitsschleuse mit Taschendurchleuchtung, wie auf dem Flughafen. Ein köstlicher Duft empfängt uns. Ordentlich gehäuft oder gestapelt liegen die Gewürze, Süßigkeiten und Trockenfrüchte, aber uns erschlägt die schiere Menge der Angebote, wir bleiben nur kurz.

Neben den Markthallen verkauft ein alter, sehr freundlicher Mann Simit, Sesamringe, aus seinem kleinen Handwagen heraus. Wir kaufen ein paar, setzen uns bei einem schönen Platz auf eine Bank und ruhen aus.

Schon den ganzen Tag begegnen uns Männer mit großen Kopfverbänden. Beim ersten denken wir: ohje, der Arme, sicher ein Unfall. Dann sehen wir zwei Männer mit Kopfverband in einer Apotheke stehen. Schon wieder Unfallopfer? Und dann läuft uns noch einer über den Weg, noch einer….und noch einer….was ist denn hier los? Vielleicht doch eine Massenschlägerei?

Schließlich der erste ohne Verband – dafür aber mit frisch implantierten Haaren auf dem Kopf, deutlich punktiert. Aha! So ist das also: Istanbul scheint ein berühmtes Haartransplantationszentrum zu besitzen!

 

 

Weiter geht es, hinein in die dunklen Gassen von Eminönü.

Am Ufer des Bosporus entlang laufen wir durch finstere Handwerkergassen. Kupferkessel, Kochtöpfe, Haushaltswaren, Besen. Alles aus Holz für den Koch, schwarze gußeiserne Öfen, sehr schön und in jeder Größe. Die dichtgedrängten Verkaufsbuden sind düster, es fällt kaum Licht in die Gassen. Touristen sieht man hier wohl eher selten.Wir trauen uns nicht, zu fotografieren, durch die Enge kommt uns das alles zu privat vor. Als würden wir ins Wohnzimmer hineinfotografieren.

Hinter den Buden einst entzückende, nun renovierungsbedürftige Gründerzeit- und Holzhäuser. Teilweise sehr heruntergekommen, aber alle voll bewohnt. Unfassbar, daß es sowas noch gibt: in Traumlage am Bosporus und kein Investorboom in Sicht! Nicht, daß wir die deutlich miesen Wohnverhältnisse preisen wollen, aber es ist doch sehr schön, wenn noch nicht alles so glattpoliert ist.

Durch ein neueres, vergleichsweise ödes Wohnviertel laufen wir steil bergauf. Eigentlich möchten wir noch nach Fatih Balat, aber es soll demnächst regnen. Während einer Rast beim großen Viadukt wird beraten. Jetzt noch im Trockenen zurück zum Steyr? Oder nach Balat und nass werden?

Nass werden! Wir überqueren einen der vielen Hügel Istanbuls und laufen wieder steil bergab zum Bosporus.

Möwenschwärme kreisen über den Dächern, ihre Schreie begleiten uns.

Es wird immer bunter. Kleine Geschäfte überall, Antiquitäten und Trödel, Modeschneidereien, Second hand, liebevoll gestaltete Cafés, Graffitykunst…hier gefällt´s uns aber sehr gut!!!

Mittlerweile haben wir ganz schön Hunger! Beim „Veganarsists“ sitzen wir draußen auf winzigen Stühlchen und bestellen vier Miniburger, köstlich, mit süßer Chilisauce, die schneller aufgegessen sind, als wir sie fotografieren können. Dazu trinken wir Hardaliye, ein fermentierter Traubensaft mit Senfkörnern und Kirschblättern. Ungewohnt, säuerlich und sehr gut. Ein türkisches Nationalgetränk.

Hier ruhen wir uns eine Weile aus, bis es anfängt, zu regnen. Die aufmerksame Kellnerin schenkt uns einen Regenschirm, den ein Gast vor Monaten vergessen hat und wir ziehen wieder los durch das wunderbar bunte Fatih Balat.

Den Berg wieder rauf durch den moderneren Teil. Es ist schon wieder Zeit für die Muezzine. Auf ihre Rufe hin eilen von überall die Gläubigen herbei, darunter auch viele Frauengruppen im schwarzen Tschador und Niqab, was man sonst eher selten im Strassenbild sieht.

Vorbei am großen Viadukt, einem fliegenden Bronzereiter und seinen drei nachdenklichen Kollegen bis zur Shoppingmeile. Die Sackkarrenschieber liefern unermüdlich große Pakete, für die Schuhputzer gibt´s im Regen nichts zu tun, es sind nicht so viele Leute unterwegs.

 

Die ausgefallene Herrenmode begeistert mich, Jacketts mit aufgenähten Rosen und Glitzerschuhe? Das bringt Abwechslung in das ewige grau, blau und braun der Herrenwelt.

Der karierte Anzug würde Martin gut stehen, aber er will irgendwie nicht….

Durch Yenikapi an den verlockenden Torten vorbei…..

kommen wir völlig kaputt und nassgeregnet nach Hause. 16 Kilometer sind wir heute gelaufen, bergauf und bergab.

 

Als die Muezzine zum Fastenbrechen rufen, sitzen wir aufgewärmt und gemütlich in der Rappelkiste. Genug für heute.

Liebe Grüße, bis bald!

Julia & Martin

Drink positive!

Auf Instagram: Rappelkisteberlin

 

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