Achterbahn

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Erg Chebbi, auf der Ostseite der großen Düne von Merzouga. Schon morgens düsen Quads und Crossbikes in der Nähe unseres Schlafplatzes vorbei. Lange schlafen – Fehlanzeige!

Alles ist vorbereitet, das Feuerholz ist an der Stoßstange der Rappelkiste fest verzurrt, der Reifendruck ist abgelassen, los geht´s – Sandfahren ist das Größte!

Die Piste führt auf feinstem Pulversand in ein trockenes Flussbett, die große Düne immer im Blick.

Je weiter wir fahren, desto mehr Zeltstädte tauchen auf. Ein Urlaubsresort reiht sich an das nächste. Wir sehen ein Edelcamp mit traditionellen braunen Ziegenhaarzelten. Zarte Vorhänge bauschen sich im Wind. Bequeme Liegen laden zum Entspannen ein. „Nomadenfeeling“ auf luxuriöse Art. Aber das ist die Ausnahme. Überwiegend erstrecken sich ockerfarbene oder weiße Massenzeltlager über weite Gebiete. An den Rändern stehen große Generatoren und Wasserspeicher. Überall sind Zäune aufgestellt. Es klingt vielleicht böse, aber das erinnert unangenehm an Bilder von riesigen UN – Flüchtlingslagern. Die grandiose Wüstenlandschaft von Erg Chebbi ist mit Zelten zugebaut. Organisierte Allradtouren kommen uns entgegen, richtig Verkehr hier!

Der Pistenverlauf stimmt nicht mit unserer Karte überein. Ein Resort ist auf die Route gebaut, wir müssen mit unseren Lkws mittendurch. Kurzes Palaver mit dem Betreiber, kein Problem : „Habt ihr ein Bier für mich? Nein? Macht nichts, bon voyage!“

Hinter dem Resort Schotter statt Sand – Reifendruck rauf – anschließend wieder Tiefsand – Reifendruck runter. Lange Zeit fahren wir über Feinsand wiederum in einem trockenen Flussbett. Unversehens wird der Untergrund salzig und feucht, Wasser! Eine kleine Furt führt ans andere Ufer. Auf der weiteren Strecke hat der Wind den Sand zu großen Wellen aufgeweht. Wir segeln schwungvoll darüber, passend dazu kreuzen ein paar Wüstenschiffe.

Die Strecke ist umwerfend schön. Wir durchqueren eine bewohnte Palmenoase. Der Boden ist weiß von Salz, wie mit Schneerändern bedeckt. Es wird felsiger, linksseits ein Gebirgszug, vereinzelt stehen Bäume. Sollen wir hier bleiben? Nein, noch nicht, noch ein bißchen weiter durch diese fantastische Landschaft. Nach einer Stunde sichten wir die nächste Oase, unbewohnt, die wird unser Nachtplatz. Kleine Wasserpfützen, Feuerholz, wir sind allein, jetzt fehlt nur noch ein Schlückchen Rotwein, aber der ist leider ausgetrunken….

Die Morgensonne vertreibt die Kälte der Nacht, wir frühstücken draussen. Ich hab Lust auf ein Käsebrot. Mal sehen, was wir da leckeres gekauft haben: sieht aus wie Edamer. Inhaltstoffe: sehr viel Pflanzenfett, Salz, Edamaroma und das war´s!!? Kann Spuren von Milch enthalten, mmmh, das klingt ja köstlich!

Mittags starten wir die Motoren. Immer entlang des Gebirges fahren wir ostwärts durch scheinbar menschenleeres Gebiet. Irgendwo verborgen leben Nomaden, nur bemerkbar durch ihre Verkaufstische mit Wüstenrosen, die plötzlich am Wegrand stehen. Wunderschön, sandfarben oder rötlich, ich kann nicht widerstehen und kaufe eine Wüstenrose. Laut dem handgemalten Schild soll sie 20DH =2,-€ kosten, ich lege das Geld in die Nomadenkasse. Die Wüstenlandschaft ist wie immer atemberaubend. Außer ein paar Büschen sehen wir kaum noch Vegetation. Am Wegrand steht eine Eselin mit auffälligen Ohren. Entweder, die Ohren sind der Länge nach aufgeschlitzt oder sie hat wirklich vier Ohren!!

Eine hohe, dunkle Bergkette vor uns bildet die Grenze zu Algerien, nur noch 20 Kilometer sind es bis dorthin. Ein Verkehrsschild zeigt die letzte Ausfahrt zurück nach Merzouga.

Etwas abseits der Piste stehen Militärposten, jeweils in Sichtweite voneinander entfernt. Hohe Grenzwälle sind aufgeschoben, das Gelände vermint. Die Wachposten drehen am Stützpunkt einsam ihre Runden. Es wird spannend. Ob man uns so nah an der Grenze weiter passieren läßt, ist äußerst unsicher. Ferngläser blitzen in der Sonne, wir werden genau beobachtet. Völlig unerwartet läßt man uns kilometerlang über die Schotterstrecke ziehen, kein Stop, keine Kontrolle, keine Probleme. Dann ist der Weg geradeaus verschüttet. Links führt eine steile Geröllpiste den Berg rauf, wir können nur bis zur ersten Kehre sehen, es sieht nicht allzu schwierig aus. Von wegen! Hinter der ersten Kurve verschärft sich die Lage, das Geröll ist rutschig, die Piste ist steil, teilweise sehr schmal, inklusive einiger enger Kehren. Links Felsen, rechts Abhang. Jetzt sind wir drauf, jetzt müssen wir durch! Die Rappelkiste zieht fauchend aufwärts, ich hänge aus dem Fenster und sage den Abstand zum Abhang an: “ 40cm, 30, 10, 10, jetzt wieder 30….“ Neun spannende Minuten dauert die Auffahrt, dann sind wir oben, uff! Wir halten wir auf dem Plateau, erstmal Anspannung rauslassen und Kekse essen.

Wir bewegen uns nun westwärts weg von der Grenze auf der Hochebene. 1000 Meter Höhe. Immer wieder ist das Plateau abgebrochen oder von tiefen Bodenrissen zerfurcht. Die Abbruchkanten bieten sensationelle Blicke von oben auf unsere bisher gefahrene Strecke.

Ein kleines Sandfeld, eine allerletzte Dünenfahrt. Danach nur noch schlammbrauner Schotter, endlos, kahl, kein Baum, nur hartes, niedriges Gestrüpp und Schotter. Um halb fünf parken wir am Rand einer Abbruchkante mit Blick in die Tiefebene auf die Sanddünen von Erg Chebbi.

Später, in der Dunkelheit, flackern weit unten die Lichter der Zeltstädte, hinter den Bergen der Lichtschein von Rissani und Erachidia. Über uns Milliarden von Glitzerpünktchen, die Milchstrasse. Wir sitzen zusammen unter einer dicken Wolldecke in der Kälte und genießen das Schauspiel.

Der Sonnenaufgang am nächsten Morgen setzt alles nochmal ganz anders in Szene:

Wieder los auf unsere Schotterstrecke. Große Dromedar – und Eselherden ziehen allein umher. Immer noch ist die Landschaft karg, braun, steinig. Rechts monumentale Berge.

Dann wird die Piste zur Achterbahn. Jetzt geht´s los! Steile Auffahrten über Geröll mit tiefen Schlaglöchern und grubenartigen Rinnen, gerne auch in Kurven. Rumpelig rauf, sofort wieder steil abwärts und wieder rauf. Ein Fahrzeug mit weitem Überhang würde unten sicher aufsetzen. Martin fährt voll konzentriert, erster Gang, Motorbremse, die Rappelkiste nimmt jede Herausforderung an. Manchmal ist die Piste weggewaschen, wir suchen eine Ab- oder Auffahrt nebendran. Immer höher hinauf reiten wir die Wellen von Plateau zu Plateau. Oft legen wir Pausen ein, genießen jeden Augenblick dieser phänomenalen Strecke. Der Blick geht weit über das dürre Land. Die Achterbahn nimmt kein Ende, runter durch ein kleines Oued, wieder rauf, steile Schrägfahrt auf das nächste leere Plateau. Die nächste Auffahrt – wir stoppen. Bestimmt 70% Steigung! Auf jeden Fall sehr beeindruckend. Sylvia kämpft sich hinauf zum Filmen. In unseren Lkws ziehen wir hinterher, rauf mit Schwung! Es ist so genial!

Alle paar Kilometer stehen Tische am Wegrand mit schönen Wüstenrosen, Drusen und kleinen Sandsteinkugeln, aber auch mit Plunder wie Saharasandstreuern, polierten Steineiern oder Plastikperlenarmbändern.

Eine weitere große Ziegenherde wandert in der Steppe, der Hirte rennt schon von Weitem los um uns nach Bier und Zigaretten zu fragen. Den ganzen Tag sind wir unterwegs und legen bis zum frühen Abend stolze 34 Kilometer zurück. Für die Nacht stellen wir uns in ein trockenes Oued mit Bäumen(!). Am großen Lagerfeuer schwärmen wir, noch immer aufgeregt, lange von dieser einzigartige Pistenfahrt.

„IIIIIIIAAAAAAHHH…..IIIIIIIIIIAAAAAAAHHH“ quietscht früh morgens ein Esel direkt hinter uns, wir schrecken hoch. Er schaut uns freundlich verwundert an. Vielleicht parken wir auf seinem Morgenspazierweg? Wir wollen sowieso früh raus, wir gehen nämlich wandern. In etwa 2,5 Kilometer Entfernung liegt über uns ein Felsplateau mit einer Felskugel. Der Weg ist angenehm, nicht zu anstrengend, bald sind wir oben. Was für eine Ausssicht!! Am Horizont sehen wir die verschneiten Gipfel der 4000er des Hohen Atlas. Unsere Wagen unten im Oued sind winzig klein, kaum noch zu erkennen. Wir entdecken, daß es auch eine machbare Pistenauffahrt hier hinauf gibt. Nächstesmal…

Nach einer langen Pause laufen wir wieder zurück, starten und machen uns auf die Piste. Boudenib ist noch ungefähr 50 Kilometer entfernt, die ersten 15 Kilometer geht es weiter über die Buckelpiste. Absolut klasse, wir können nicht genug bekommen! In der Ebene ein Nomadenumzug, traditionell mit Eseln, nicht mit Traktor. Am Wegrand eine kupfergrüne Echse. Ein Stück weiter döst eine dicke, gelbe Dornschwanzagame in der Sonne. Kaum den Fotoapparat gezückt ist sie schon weggeflitzt.

Die Strecke glättet sich mehr und mehr, irgendwann sind wir über den letzten Buckel. Wie schade! Je näher wir Boudenib kommen, desto mehr Nomadenshops sind aufgebaut und desto teurer werden die Fossilien und Wüstenrosen. Wie mit dem Lineal gezogen läuft die Piste über die Ebene. Mehr als 20 Kilometer geht es schnurgeradeaus. Es gibt nichts zu sehen, kein Baum, kein Gestrüpp verstellt den Blick, nur braungrauer Schotter. Der Nachmittag geht vorbei, es ist schon halb 6. Wir sind müde, heute suchen wir mal nicht selbst einen Platz . „Bei einer kleinen Palmengruppe ein schöner Schlafplatz“ haben wir gelesen. Dorthin führt der Weg in einem Flusbett, super, das fahren wir sowieso total gerne. Also nochmal Luft raus. Nach einigen Kilometern sichten wir 3 einsame, verstaubte Palmen. In der Nähe ein Haus. Das kann doch nicht der Platz sein? Vielleicht weiter vorn? Nach einer Weile wieder ein paar vertrocknete Palmen, dazu eine große Ziegenherde. Sofort werden wir vom Hirten nach Bier und Zigaretten gefragt. Nee, also das gefällt uns nicht, wir drehen um. Wieder durch den Feinsand zurück, dann an einer einsameren Stelle seitlich raus in die Schotterlandschaft. Hier sind wir allein, alles ruhig.

Nochmal eine Nacht außerhalb im Gelände. Morgen fahren wir nach Boudenib. Die Tage auf dieser Piste waren unbestritten das absolute Highlight! Die Weite und Einsamkeit der Landschaft, die Herausforderungen der Piste, die Achterbahnfahrten, phänomenal!

Gleichzeitig war dies unsere letzte gemeinsame Pistenfahrt. Das Visum von Sylvia und Alfred läuft in 9 Tagen ab, sie müssen langsam Richtung Tanger um die Fähre zu erreichen. Wir können noch zwei Wochen länger bleiben. Was machen wir? Noch bleiben und ein bißchen im Atlasgebirge rumfahren oder mit den Beiden nordwärts? Lange müssen wir nicht überlegen. Wir möchten unsere tollen Reisegefährten noch nicht verlassen, mit den Beiden ist es einfach noch schöner! Lieber gehen wir jetzt mit zurück nach Europa und tingeln gemeinsam noch ein wenig durch Spanien. Da gibt es ja auch spannende Pisten zu entdecken!!

Eines ist jedenfalls klar: wir sind Julia und Martin – und wir sind pistensüchtig!

Bis bald, liebe Grüße!

Julia & Martin

Drink positive!

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