Von der ruppigen Sturmnacht bleibt uns der kräftige Wind erhalten. Martin putzt die Frontscheiben, es weht ihn fast von der Leiter, so heftig sind die Böen.
Es gelingt uns, den Rudelchef abzulenken und die magere Hündin zu füttern.
Dann geht es wieder auf die Strecke.
Ein Schild verweist auf den Birtvisi Canyon. Ich schaue nach – ein Wanderweg zum Sheupovari Turm, sieht gut aus. Schnell wird ein Wegpunkt gesetzt, falls wir mal wieder vorbeikommen.
Richtung Tiflis oder besser Tbilisi.
Umgeben von Wiesen und kleinen Feldern liegen verträumte Dörfer, der Algeti Fluss sucht sich schlingernd seinen Weg.
Windböen schütteln die Zweige der duftenden Robinien und jagen über das hohe Gras der Wiesen.
Polizei ist in Georgien sehr präsent. Jeder noch so kleine Ort, so scheint es, hat eine Polizeistation. Polizeiautos fahren grundsätzlich mit blau-rotem Warnlicht.
Wie Quecksilber glänzt der Kumisi See. Da gäbe es auch ein paar Pisten zu fahren, gleich für´s nächste Mal merken.
Von unserer beschaulichen Landstrasse durch die Dörfer biegen wir ab auf die Hauptstrasse nach Tiflis. Jetzt geht´s runter in die Ebene. Das ist schon was anderes: solchen Gegenverkehr sind wir gar nicht mehr gewohnt, nix mehr mit beschaulich!
Der Wind will nicht nachlassen, wild peitscht er über die Felder.
Vor uns liegt Tbilisi, die Hauptstadt. Hier lebt fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung Georgiens, über 1 Million Menschen.
Tiflis werden wir uns auf jeden Fall ansehen, aber nicht heute. Uns zieht es weiter nach Osten. Richtung Rustavi. Die Verkehrsführung ist etwas kryptisch, wir müssen zuerst Richtung Innenstadt, dann wieder umdrehen, nach Süden, um schließlich auf den Rustavi Highway zu kommen.
In der südlichen Vorstadt von Tiflis verbergen sich hinter Mauern und hohen Toren kleine Häuser, teilweise abenteuerliche Konstruktionen. Alle inmitten wunderschöner Gärten. Eine grüne Vorstadt.
Rustavi ist da ganz anders.
Ein völlig unübersichtlicher Kreisverkehr beschert uns eine Extrarunde, überall stehen Pömpel, wer hat denn hier Vorfahrt? Im Zweifelsfalle: wir.
Großeinkauf im Carrefour Supermarkt liegt an. Vor jedem Eingang stehen Automaten, an denen man viele Dinge erledigen kann: Busfahrscheine kaufen, Falschparktickets bezahlen, Geld abheben, sogar die Miete bezahlen und und und. Wir laden hier unsere Telefonkarte auf. Kartennummer eintippen, unlimited package drücken, 30,-Lari einzahlen – fertig! Dermaßen simpel, wir können es kaum glauben!
Rustavi hat ein Rugby Stadion, vielleicht haben wir Glück und heute oder morgen findet ein interessantes Spiel statt? Wir fahren hin und fragen nach, aber leider läuft nichts. Schade. Mehr Attraktion hat Rustavi nicht zu bieten. Beim tanken fragen die Männer Martin über die Rappelkiste aus. Der Wind weht ihnen fast die Mütze vom Kopf.
Wir treffen eine alte Bekannte: die Kura. Ist die groß geworden!!
Viel los auf der Strasse. Junge Leute veranstalten ein Hupkonzert, Rappelkiste stimmt mit ein und löst damit wilden Jubel aus.
Schafe kommen uns entgegen, Rinder, Pferde und ein furchteinflößendes Hunderudel. Die sind ja groß wie Kälber!
Raus aus Rustavi. Schrottplätze und Altmetalllager. Eine unwirtliche Gegend. Uralte Fabriken, übrig geblieben aus vergangenen Jahrhunderten.
Eine Strasse ins Nirgendwo….die Strommasten wirken wie Friedhofskreuze….
Vorbei am Kraftwerk, mitten durchs Industriegelände, dicker Qualm quillt aus rostigen Schornsteinen. Sind wir hier richtig?
Doch, das ist unsere Strecke.
Die Schwerindustrie lassen wir hinter bald uns. Es wird ländlich, Grün- und Weideland. Die Strasse ist ruppig, unsere Geschwindigkeit sinkt auf 6km/h – neuer Anti-Geschwindigkeitsrekord!
Voraus so etwas wie ein Tor. Ein Stierkämpfer Monument. Er packt den Stier bei den Hörnern.
Etwas unerwartet, so allein in der Landschaft. Wieso hier?
Nur 7 Kilometer weiter geradeaus verläuft die georgisch – azerbaidjanische Grenze mitten durch den Jandari See. Vielleicht hat die Statue damit etwas zu tun?
Ein kaum zu entzifferndes Schild weist nach links. Georgische Schrift, verblichen. Das Bild einer Kirche deuten wir so, daß dies der Weg zum David Garetja Kloster ist. Dort wollen wir hin. Na dann….
Ab auf die Piste!
Nach 3 Kilometern die Preisfrage: wir können diesen Weg rechts rauf nehmen und den Bergkamm entlang gondeln,
oder geradeaus weiter in einem größeren Bogen fahren. Wir entscheiden uns für geradeaus.
Unter bleigrauem Himmel rumpeln wir im Schneckentempo dahin. Genug Muße um diese grandiose Landschaft zu bewundern. Die sanft gewellten Berge, die weitläufige Grassteppe, gestreifte Felsen.
Der nächste Wegweiser schickt uns nach rechts. Mitten in der Pampa ein einsamer Bauernhof. Und ein weiteres großes Schild. Was steht da?
Die Gegend ist von Minen geräumt worden. Vielen Dank! Das ist beruhigend!
Irgendwo hier fahren wir in die Provinz Nieder-Kachetien ein.
Plötzlich ertönt ein lautes Klappern am Heck! Schreckmoment! Martin sieht nach.
Nichts schlimmes. Der kräftige Wind drückt die Schmutzfänger gegen die Reifen, das erzeugt das klappernde Geräusch.
So schade, daß wir hier nicht über Nacht bleiben können. Es ist so schön hier. Der Wind ist zu stark, mit bis zu 50km/h jagt er über die offene Landschaft. Wir halten Ausschau nach einem geschützten Platz, leider vergeblich. Wirklich sehr schade…..
Nur 700 Meter entfernt verläuft die Azerbaidjanische Grenze parallel zu unserer Piste.
Uns begegnet eine große Schafherde. Ich winke dem Hirten zu. Er schaut. Ich winke weiter. Langsam wechselt er den Hirtenstab von einer Hand in die andere. Eisern schwenke ich die Hand…. Jetzt lächelt er und winkt zurück! „Gamarjoba!“
Auf dem Berg liegt das Dorf Natlismtsemeli. Die Höhlenkirchen dort gehören zum Komplex des David Garetja Klosters, es kann also nicht mehr weit entfernt sein.
Drei Stunden Fahrt liegen hinter uns, die Piste wird nochmal anspruchsvoller: Schräglage und weicher Boden.
Der Wind legt das hohe Gras flach. Mit Schwung zieht die Rappelkiste die Hügel hoch, ganz schön schief….
Der Weg teilt sich. Drei Möglichkeiten: wir entscheiden uns für die linke. Durch tiefe Spurrinnen und weichen Matsch rumpeln und schunkeln wir aufwärts.
Jetzt muß bald die Teerstrasse nach David Garetja kommen. Da ist sie schon. Achtung! Gegenverkehr!
Hoch auf dem Berg steht ein Turm. Links wellen sich wunderschön gestreifte Felsen. Wir steuern direkt hinauf zum Hauptkomplex des David Garetja Klosters.
Auf dem Parkplatz des Visitor Centers stürmt es so heftig, ich bekomme kaum die Tür auf. Ein kurzer Blick auf den Windfinder verrät uns, daß es die ganze Nacht so weiterstürmen wird. Wir stehen mitten im Windkanal. Wir wenden und suchen uns einen etwas geschützteren Platz weiter unten. So ist es besser.
Draußen tobt und pfeift es, drinnen schwingen die Lampen hin- und her, aber wir haben es gemütlich. Nach einer Stunde klopft es an die Tür.
Überraschung! Es ist Andrea! Große Freude, komm rein!
Gaby und er parken 700 Meter weiter in einer kleinen Parkbucht. Zeit für eine Plauderei. Dann kämpfen er und Asma sich wieder zurück, wir treffen uns morgen nochmal.
Das Abendlicht vergoldet die Berge, wir gehen heute nicht mehr raus.
Die Nacht bricht an.
Um 22 Uhr hält neben uns ein Auto. Jemand klopft. „Police!“ Martin geht raus in die Dunkelheit. Durch das geöffnete Fenster höre ich die Diskussion. Wir sollen wegfahren. „We leave tomorrow“ höre ich Martin.
Oh, nein, bitte jetzt nicht noch im Finstern einen neuen Platz suchen….
Es dauert. Martin kommt zurück. Es sind Militärpolizisten, sie wollen die Passports sehen. Er verschwindet wieder im Dunkeln. Mehr als eine halbe Stunde vergeht, ich werde schon etwas unruhig, da kommt er zurück. „Alles klar!“grinst er. Wir dürfen bis morgen bleiben.
Martin erzählt, daß zuerst lange hin- und her diskutiert wurde. Wir stehen zu nah an der azerbaidjanischen Grenze, nicht sicher. Martin bleibt hartnäckig. „I cannot drive, I drank wine!“ Die Polizisten: „does not matter here – move!“ Nein, Martin wehrt sich, lobt das wunderschöne Georgien, zieht alle Register, wir möchten doch so gerne das berühmte Kloster besichtigen und so weiter. Irgendwann lenkt einer ein und telefoniert mit dem Boss. Mehrfach. Schließlich gibt der Boss sein Okay.
„Geh ins Auto, fahrt nicht los und steigt nicht aus!“ In Ordnung. Martin berichtet, wie freundlich und höflich die Polizisten waren. Schon erstaunlich, daß man mit Grenzpolizisten überhaupt diskutieren kann. Sehr angenehm.
Außer dem Gepfeife und Geschaukel des Sturms bleibt die restliche Nacht ruhig.
Morgen wird das Wetter besser, dann schauen wir uns das Kloster an.
Bis bald, liebe Grüße!
Julia & Martin
Drink positive!
Auf Instagram: Rappelkisteberlin
Schreibe einen Kommentar